Landkreistag warnt: Kommunen stehen vor einem finanziellen Abgrund
Landkreistagspräsident Walter: „Wir müssen dem wüsten Brombeergestrüpp der Überregulierung nicht bloß mit der Nagelschere, sondern mit der Motorsense zu Leibe rücken“
„Die Landkreise stehen wie die Städte und Gemeinden vor einem finanziellen Abgrund. Und wenn sie nicht vollends abstürzen sollen, dann brauchen die Kommunen nachhaltige, verlässliche Hilfe und Unterstützung.“ Diesen dringenden Appell richtete der Präsident des Landkreistags, Landrat Joachim Walter (Tübingen), heute in Anwesenheit von Ministerpräsident Winfried Kretschmann sowie Justiz- und Migrationsministerin Marion Gentges an die rund 250 Persönlichkeiten aus Politik, Verwaltung und Verbänden, die zu der alle zwei Jahre stattfindenden Landkreisversammlung nach Bruchsal gekommen waren.
In seiner Grundsatzrede anerkannte Landkreistagspräsident Walter ausdrücklich, dass die Landesregierung den Kommunen mit dem Soforthilfepaket 2024 insbesondere auch im Bereich der Krankenhäuser substanziell unter die Arme greift. Er betonte auch, dass sich das Land an dieser Stelle deutlich von der Bundesregierung unterscheide. Deren Bundesgesundheitsminister räume die systematische Unterfinanzierung der Kliniken zwar öffentlich ein, tue aber nichts dagegen und habe stattdessen eine Krankenhausreform durch den Bundestag gepeitscht, die zu einer massiven Verschlechterung der Patientinnen- und Patientenversorgung speziell in Baden-Württemberg führen werde, wenn der Bundesrat ihm nicht noch in den Arm falle. Zugleich machte Walter allerdings deutlich, dass das Soforthilfepaket 2024 weder eine Verständigung zwischen Land und Kommunen für den Doppelhaushalt 2025/2026 ersetzen könne, noch eine Ertüchtigung des viel zu löchrigen Konnexitätsprinzips entbehrlich mache.
„Vor allem aber bin ich enttäuscht und habe auch kein Verständnis dafür“, unterstrich Landkreistagspräsident Walter, „dass wir bislang keine über das Jahr 2024 hinausgehende Verständigung im Hinblick auf die Kosten für Geflüchtete erzielt haben.“ In den zurückliegenden Jahren habe stets Einvernehmen zwischen Land und Kommunen geherrscht, dass man die Geflüchtetenkosten nicht kommunalisieren dürfe. Genau dies solle jetzt aber in großem Stil geschehen. Er erwarte vom Land, so Walter, dass es sich seiner staatspolitischen Verantwortung stelle.
Walter ging auch auf die Gründe für die massive kommunale Haushaltskrise ein. Die Kosten für die Wahrnehmung kommunaler Pflichtaufgaben seien massiv angestiegen, zusätzliche Pflichtaufgaben dazugekommen, ohne dass ein fairer finanzieller Ausgleich von Bund oder Land erfolgt wäre. Dies bringe die Kommunen in eine schier ausweglose Situation, denn in einem funktionierenden Rechtsstaat müssten Pflichtaufgaben auch dann erfüllt werden, wenn sie nicht ausfinanziert sind. Hier seien die Gesetzgeber auf Bundes- und Landesebene aufgerufen, endlich tätig zu werden, um den Umfang kommunaler Pflichtaufgaben und die dafür vorgesehene kommunale Finanzausstattung wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Insbesondere sei es allerhöchste Zeit, endlich Fortschritte beim Aufgabenabbau und bei der Deregulierung zu erzielen. Allerdings seien die bisherigen Ergebnisse der von Land und Verbänden aus der Taufe gehobenen Entlastungsallianz bislang noch sehr ernüchternd. Er sei daher froh, so Walter, dass jetzt nochmals der Versuch unternommen werde, bis Anfang Dezember ein substanzielles Entlastungspaket zu schnüren. „Das dann dritte Entlastungspaket wird der Lackmustest sein, ob die Entlastungsallianz wirklich spürbare Wirksamkeit entfalten kann“, so Walter.
Landkreistagspräsident Walter machte sich auch dafür stark, jetzt sehr rasch sämtliche landesrechtlichen Genehmigungsverfahren kurzfristig auf ihre Entbehrlichkeit zu überprüfen und kurzfristig konkrete Eckpunkte für ein umfassendes Vorhabenentfesselungsgesetz vorzulegen. „Nicht nur auf Bundes-, sondern auch auf Landesebene gibt es Möglichkeiten, dem wüsten Brombeergestrüpp der Überregulierung nicht bloß mit der Nagelschere, sondern mit der Motorsense zu Leibe zu rücken“, hob Walter hervor.
Keinerlei Verständnis habe er, so Walter, wenn in Zeiten, in denen es um den Abbau von Regulierung gehe, vom Gesetzgeber neue Bürokratismen aufgebaut werden wie etwa beim Landesmobilitätsgesetz. Er bekräftigte in diesem Zusammenhang die Forderung, in Baden-Württemberg das sogenannte „Goldplating“ zu verbieten: „Das Draufsatteln auf europäisches und Bundesrecht mit Verschärfungen im Landesrecht ist kontraproduktiv und zeigt, dass ihre Urheber die Zeichen der Zeit überhaupt nicht erkannt haben!“ Ebenso forderte Walter, das Gleichbehandlungsgesetz als Ausdruck eines pauschalen Misstrauens gegen die öffentliche Verwaltung schnellstmöglich zu beerdigen.
Zum Schluss seiner Rede rief Landkreistagspräsident Walter dazu auf, die gewaltigen Herausforderungen der Transformation im Großen und im Kleinen beherzt anzugehen: „Sonst wird die Transformation von uns nicht gestaltet, sondern lediglich erlitten werden. Und sonst bleibt Deutschland der kranke Mann Europas – mit unabsehbaren Folgen für Wohlstand und sozialen Zusammenhalt. Wir Landkreise wollen das nicht und werden deshalb unseren Teil dazu beitragen, dass es so auch nicht kommt. Wir wollen den notwendigen Wandel kraftvoll mitgestalten.“