Viele Pflegebedürftige verzichten auf LeistungenOft wird ein Pflegegrad erst beantragt, wenn der Betroffene allein nicht mehr zurechtkommt
Seit der Pflegereform im Jahr 2017 haben bereits Menschen, deren Selbstständigkeit nur wenig beeinträchtigt ist, Anspruch auf Leistungen aus der Pflegeversicherung. Doch bisher beantragen viel zu wenige dieser Betroffenen einen Pflegegrad. Der Sozialverband VdK rät: Auch wer sich nicht sicher ist, ob er Pflegegrad 1 zuerkannt bekommt, sollte sich einstufen lassen.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamts gab es 2019 rund 208.000 Menschen mit Pflegegrad 1. Doch die Zahl der Menschen mit geringen Beeinträchtigungen müsste viel größer sein: Laut Bundesamt tauchen etwa 160.000 Menschen überhaupt nicht in der Statistik auf, weil sie keinen Pflegegrad beantragen. Oft ist den Betroffenen nicht einmal bewusst, dass sie Anspruch auf Leistungen hätten.
Pflegegrad 1 erhalten Menschen, die körperlich, kognitiv oder psychisch beeinträchtigt sind. Um eingestuft zu werden, müssen sie bei ihrer Pflegekasse einen Pflegegrad beantragen. Anschließend werden sie von einem Gutachter des Medizinischen Diensts der Krankenversicherung (MDK) zu Hause besucht und befragt. Wegen der Corona-Pandemie finden die Einstufungen derzeit jedoch nur telefonisch oder nach Aktenlage statt.
Im Zentrum der Begutachtung steht die Selbstständigkeit der Antragstellerin oder des Antragstellers. Geprüft wird, ob die Person sich noch im Alltag versorgen und ihrem Tagesablauf nachgehen kann. Der MDK-Gutachter erfasst außerdem, wie mobil sie ist, ob sie sich gut erinnert und in der Lage ist, Gespräche zu führen, ob sie neuerdings Verhaltensweisen wie Unruhe, Angst oder Aggression zeigt, wie sie mit einer Erkrankung umgeht und ob sie erfolgreich eine Therapie mitmachen kann. Die Einstufung erfolgt auf Grundlage eines Punktesystems. Je selbstständiger die beziehungsweise der Versicherte ist, desto weniger Punkte werden angerechnet.
Zwar erhalten Menschen mit Pflegegrad 1 weder Pflegegeld, noch Pflegesachleistung, doch sie haben Anspruch auf eine ganze Reihe von weiteren Angeboten. Dazu gehören die Betreuungs- und Entlastungsleistungen. Sie werden derzeit nur von etwa jedem zwölften Pflegebedürftigen mit Pflegegrad 1 genutzt.
Hilfe im Haushalt
Jedem Pflegebedürftigen steht ein monatlicher Entlastungsbetrag in Höhe von 125 Euro zu, den er für haushaltsnahe Dienstleistungen, Alltags- und Pflegebegleitungen oder Gruppenangebote verwenden kann. Beispielsweise ist es möglich, sich Hilfe im Haushalt oder beim Einkaufen zu organisieren, eine Bewegungs- und Koordinationsgruppe für Demenzkranke zu besuchen oder sich zu einer Behörde oder zum Arzt begleiten zu lassen. Wichtig ist, dass der Dienstleister nach dem jeweiligen Landesrecht zugelassen ist. Anfangs gab es oft große Schwierigkeiten, überhaupt Angebote zu finden. Mittlerweile hat sich die Situation in den meisten Bundesländern verbessert.
Bei Pflegegrad 1 kann der Entlastungsbetrag unter bestimmten Voraussetzungen auch für ambulante Pflegeleistungen genutzt werden. Weiterhin ist es möglich, die 125 Euro für Tages- und Nachtpflege sowie Kurzzeitpflege zu verwenden. Die restlichen Kosten muss der Pflegebedürftige allerdings aus eigener Tasche bezahlen.
Mit Pflegegrad 1 besteht außerdem Anspruch auf monatlich 40 Euro für Pflegehilfsmittel zum Verbrauch, einen Zuschuss von 23 Euro pro Monat für einen Hausnotruf, eine umfassende individuelle Pflegeberatung sowie für Angehörige die kostenfreie Teilnahme an einem Pflegekurs. Weiterhin können Zuschüsse zur Anpassung des Wohnraums in Höhe von bis zu 4000 Euro abgerufen werden, um beispielsweise eine barrierefreie Dusche einbauen zu lassen. Außerdem gibt es einen Wohngruppenzuschuss.
Der Sozialverband VdK rät allen, die sich unsicher sind, sich begutachten zu lassen. Hinzu kommt: Wer schon einmal vom MDK eingestuft wurde, hat es bei einer Höherstufung des Pflegegrads leichter.
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